Sinn und Grenzen der Intensivtherapie

Hallo. Ich lese seit ein paar Tagen hier und im anderen Chat mit. Auch mir liegt vieles auf der Seele. Ich bin Fachkrankenschwester für Intensivpflege mit 20 Jahren Berufserfahrung. Ich habe in drei verschiedenen Unikliniken gearbeitet. Auch ein Jahr auf einer Corona-Intensivstation, auch mit ECMO Plätzen. Ich persönlich habe nur einen Patienten erlebt, der jung und ohne Vorerkrankungen einen schweren Verlauf erleiden musste. Ich habe keine Angst vor der Krankheit. Ich möchte nicht abstreiten, dass es auch junge Menschen schwer treffen kann, das sind meiner Meinung nach tragische Einzelfälle, das zeigen auch die Sterbezahlen nach Lebensalter. Es gibt auch junge Menschen, die ohne Vorerkrankungen an der Grippe sterben. Ich habe Patienten gesehen, die MIT und keinesfalls AN Corona starben, so viele mehrfach vorerkrankt, mit deutlich begrenzter Lebenserwartung, die wochenlang bei uns lagen, bis sie dann doch verstarben oder tracheotomiert in die Reha verlegt wurden und dort starben. Wir hatten auf Station viele Wochen unzureichende Schutzausrüstung (Uniklinik! Coronaintensiv!) Schutzkittel sollten, wenn möglich, mehrfach benutzt werden, jeder Mitarbeiter hatte 1 FFP-Maske pro Schicht zur Verfügung. Später gab es ausreichend Masken, aus China, chemisch riechend, teilweise mit Aufdruck „non medical“ oder „not for medical use“. Angeblich trotzdem „sicher“. Wochen später kam ein Produktrückruf. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben Herpes in der Nase. Trotzdem hat sich niemand vom Team bei den Patienten angesteckt. Getestet wurden wir Mitarbeiter übrigens das ganze Jahr nicht! Obwohl sich das einige gewünscht hätten, vor allem an Weihnachten, wenn man nach der Schicht auf Corona Intensivstation seine Eltern treffen wollte.


Wirklich belastend empfand ich das absolute Besuchsverbot. So unmenschlich! In der ersten Welle durften die Angehörigen noch nicht einmal zu den Sterbenden. Wir haben Fotos von den Verstorbenen für die Familien gemacht. Im Sommer war das Verbot etwas gelockert (30 min Besuch am Tag – natürlich nur für nicht Covid-Patienten), in der zweiten Welle durften Angehörige die Sterbenden besuchen. Ich habe so viele Menschen erlebt, die das regelrecht gebrochen hat. Die weinend zusammen brachen. Viele Jahre gibt es das Konzept der „angehörigen freundlichen Intensivstation“, das meiner Meinung nach eine ganz wichtige Säule im Genesungsprozess für die Kranken ist! Alle Kollegen haben sich wirklich aufopfernd um die Kranken bemüht, aber die Liebsten, die den Patienten Mut zusprechen, sie trösten, sie halten, sind einfach unersetzlich für eine menschliche Intensivpflege! Ein älterer Herr hat geweint, als ich kurz die Maske abnahm, damit er nach Wochen ein lächelndes Gesicht ansehen kann. Das Pflegepersonal musste mit Abstand, max. zu zweit die Pausen verbringen, die Ärzte saßen oft zu sechst, zu acht in der Küche zusammen. Alle Ärzte, die mit den Kamerateams auf Station kamen, haben nicht am Patientenbett gearbeitet.


Zum Thema ECMO: In den letzten Jahren gab es immer mehr technische Weiterentwicklungen in der Intensivmedizin. Vor 20 Jahren gab es die ECMO fast ausschließlich in der Herzchirurgie und wurde Ultima Ratio als Überbrückung bei jungen Patienten eingesetzt. Ich habe viele junge onkologische Patienten an Virus Pneumonie sterben sehen, erst später wurde die ECMO für den Einsatz auf intensiv weiterentwickelt und jetzt immer mehr eingesetzt. Das ist Segen und Fluch zugleich, so wie die ganze Intensivmedizin. Wir können immer ältere, immer kränkere Menschen irgendwie am Leben erhalten. Ob dies in vielen Fällen aber noch menschlich ist, noch sinnvoll ist, ob die Patienten und Familien verstehen, was da auf sie zukommt? Das sehen viele, viele Kollegen kritisch, es gibt Diskussionen und ist sehr

belastend. Warum gibt es keine öffentliche Diskussion über Grenzen und Sinn von Intensivtherapie? Warum steigen die Zahlen der Heimbeatmungen exponentiell? Ein sehr lukratives Geschäft!


Warum wird in der Presse suggeriert, nur an der Beatmungsmaschine wäre das Sterben

„menschlich“ und sonst würden Covid- oder andere Pneumonie-Patienten qualvoll ersticken? Wo sind die Palliativmediziner? Warum wird jetzt auf Intensivstationen gefilmt und alles dort als außergewöhnlich dargestellt? Ich kann von so vielen schrecklichen Krankheiten und Schicksalen berichten, auch vor Covid. Ich habe vorher genauso viel gearbeitet. Die Bauchlage wurde nicht für Covid-Patienten entwickelt, die gibt es seit Jahrzehnten. Warum wird verschwiegen, dass der Personalmangel seit Jahren besteht? Die Situation jetzt ist nicht neu! Warum lobt die Presse das tolle deutsche Gesundheitssystem und schaut kritisch auf z. B. Spanien und Italien? Wir haben Pflegepersonal aus Spanien, Italien, Portugal, Phillipinen etc. geholt, die in ihren Heimatländern fehlen und ohne die hier alles zusammenbrechen würde! Wer von euch hat neues Personal bekommen in der „Krise“? Wieso wurde die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung außer Kraft gesetzt? Wurden die Pflegeheime irgendwie unterstützt? Mit Personal, Ausstattung, Fortbildung oder Geld? Warum sollen jetzt auf einmal die Covid- Patienten jünger werden, wo doch am Anfang die jungen, die alten angesteckt haben sollen? Warum werden die Risikofaktoren wie Übergewicht, Diabetes oder Bluthochdruck nicht thematisiert? Wieso wird alles, was der Gesundheit förderlich wäre, verboten? Wo sind die kostenlosen Sport- und Beratungsangebote der Regierung für die Risikogruppe? Wiese machen wir die Kinder zu digitalisierten Bewegungsmuffeln? Seit wann müssen auch Menschen geimpft werden, die ein absolut geringes Erkrankungsrisiko haben? Kinder? Warum werden so viele Fragen nicht öffentlich diskutiert?

Ängste selbst bleiben nur ein Problem, wenn wir in Furcht verharren.

Für Mut hingegen brauchen wir sogar die Angst! Ohne sie wäre Mut überflüssig!