Das Lebendige isolieren

Vielen Dank an alle die sich hier bereits mitgeteilt haben.

Es hat auch mir sehr geholfen, zu spüren, dass man mit seinen Gedanken, Gefühlen und Wahrnehmungen nicht allein ist. Seit 2000 arbeite ich Vollzeit, 3 Schichten in einem großen Klinikum der Supermaximal-Versorgung in Süddeutschland. Davon unter anderem 14 Jahre auf der inneren Medizin (Endokrinologie, Onkologie, Infektionserkrankungen). Meinen Beruf habe ich im Personalmangel erlernt, ich kenne keine andere Arbeitsbedingungen als zeitliche, räumliche, personelle und körperliche Überlastung. Habe zeitgleich Menschen mit MRGN-, ESBL-, MRSA-, HIV-, Clostridium Diff.-, Hepatiden (von A bis E) Infektionen, lebenslimitierte sowie neupogene Menschen und die Angehörigen/ Zugehörigen versorgt.


Das ist sehr aufwendig, da ein Unterschied zwischen Isolation wegen Infektion und eine Umkehrisolation zum Schutz der immunsupprimierten Person immer beachtet werden muss, um ihr Leben nicht zu gefährden. Über Jahre hinweg habe ich Klinikhygiene, ärztliche und kaufmännische Direktoren, Pflegedirektoren auf all die Gefährdungen und Risiken für Patienten und Mitarbeiter aufmerksam gemacht. Unzähliger Schriftverkehr, ergebnislose Besprechungen. Aktuell bin ich es leid, überlastete Pflegekräfte als Begründung für diese Verordnungen, Maßnahmen und Gesetze vor die Nase

gesetzt zu bekommen. Als hätte das jahrzehntelang irgend jemanden in der Politik, Klinikvorständen, Krankenkassenvorständen oder Krankenhausgesellschaften interessiert.


Besonders wir Pflegekräfte, Ärzte, und Mitarbeiter im Gesundheitssystem müssen unser Handeln gegenüber anderen begründen oder rechtfertigen. Moral und Ethik setzen voraus, dass jeder Mensch grundsätzlich rechenschaftspflichtig für sein Tun und Lassen ist. Verantwortungsethik legt großen Wert auf die Eigenverantwortung des Menschen. Ich soll die Verantwortung nicht auf andere abwälzen oder mich hinter den Anweisungen Dritter oder den moralischen Wertvorstellungen einer Gemeinschaft oder Gesellschaft verstecken. Das muss uns doch allen wirklich klar sein. Den Pflegekräftemangel und die Überlastung des Personals hatten wir vor Corona schon. Das ist die Konsequenz unseres ökonomisch getriebenen Systems. Es zielt darauf ab, dass wir immer mehr und immer kränkere Menschen behandeln – ohne dabei das Personal mitzunehmen. Gesundheitsversorgung wird als Produkt betrachtet, also kann man auch Profitorientierung nicht mehr davon trennen.


Kinderschutz, Kinderförderung, Bildungsförderung, Familienschutz, Gesundheitsvorsorge: für all das war nie Geld da. Immer musste gespart werden und jetzt soll das mit einem Wink plötzlich alles anders sein? Schaut mal genau hin: Die sogenannten „vulnerablen Gruppen“ (alte, junge, chronisch, geistig und körperlich eingeschränkte, auch lebenslimitierend Erkrankte), die besonderen Schutz brauchen, werden immer noch nicht geschützt! Viel schlimmer: Sie werden noch nicht einmal mehr umarmt, getröstet geschweige denn WAHRGENOMMEN.


Weil man sie isoliert, um sie zu schützen. Wir isolieren gerade das Leben vom Lebendigen. Die Verantwortungsträger, welche aktuell Entscheidungen über unser aller Leben treffen haben sich ganz gehörig verrannt. Solange ich es körperlich und mental schaffe werde ich mich weiter für das Wohl und die Belange der erkrankten Menschen einsetzen und unbequeme Fragen stellen, Aufmerksamkeiten schaffen. Es gilt seinen inneren individuellen Überzeugungen nicht nur treu zu bleiben, sondern diese auch zu hinterfragen und für Diskussion und gemeinsames Handeln zu öffnen. Welche Komplexität, die wir alle stets reduzieren, dürfen wir ignorieren und mit welchen Folgen? Welche Folgen unseres Handelns und Denkens überschauen wir überhaupt bis zum Schluss? Kommunikation ist ein Wunderwerk. Bleibt im Kontakt, redet miteinander.

Ängste selbst bleiben nur ein Problem, wenn wir in Furcht verharren.

Für Mut hingegen brauchen wir sogar die Angst! Ohne sie wäre Mut überflüssig!