Wie klingt ein Taktstock

Wie klingt ein Taktstock?


Ein Sinfonieorchester bekommt einen neuen Dirigenten. Zum Einüben der Musikstücke für das erste Konzert sind vier Tage geplant. Die Proben verlaufen sowohl in der Wahrnehmung des Kapellmeisters als auch in der der Orchestermitglieder im wahrsten Sinne des Wortes disharmonisch. Der Dirigent ist in allen Belangen mit den Musikern unzufrieden und äußert das auch in den Proben deutlich. Diese setzen bei aller Professionalität die Vorstellungen des Orchesterleiters nicht um. Ein musikalischer Fortschritt hin zu einem guten Ergebnis für die Premiere ist nicht zu erkennen. Wieder hebt er den Taktstock – aber die Musiker spielen nicht. Es bleibt ruhig im Probensaal. Da platzt dem Dirigenten der Kragen: „Was soll das, wollen Sie mich hier boykottieren?" Der erste Konzertmeister antwortet: „Maestro, wir wollten nur einmal hören, wie ein Taktstock klingt."


Diese Anekdote könnten wir als eine von vielen aus der Rubrik „Dirigentenwitze“ zur Kenntnis nehmen. Wir können aber auch versuchen, den Vorgang unter Aspekten der Kommunikation zu betrachten. Der Dirigent trägt für den Konzertabend die künstlerische Leitung und Verantwortung. Er kann mit dem Orchester die Aufführung zum besonderen Erlebnis gestalten oder er kann im Mittelmaß bleiben. Das Ergebnis kann abhängig sein von seiner Art der Interpretation des Musikstücks bzw. des Dirigierens und von den Fertigkeiten der Sinfoniker. Liegt eventuell, aus welchen Gründen auch immer, eine Blockadehaltung der Musiker gegenüber dem Kapellmeister vor? Haben sie einfach einmal ihre Macht ausgespielt? Festzuhalten ist: Ohne ein Mindestmaß an Beziehungsebene kann keine funktionierende Arbeitsebene hergestellt werden. Der Dirigent könnte nun weiterschimpfen und behaupten, dass hier ein toxisches Gemisch entstehen würde. Er könnte die Orchestermusiker zur Umkehr aufrufen, weil diese sich verrannt hätten. Oder er bezeichnet diese sogar als Dirigentenfeinde.


Ziel aller Beteiligten muss es sein, am Aufführungstag den Zuhörern ein unvergessliches Konzerterlebnis zu ermöglichen. Davon hängt auch das Renommee des Orchesters und das des Kapellmeisters ab. Er muss sich schleunigst u. a. mit dem Konzertmeister zusammensetzen und besprechen, was zum beschriebenen Konflikt geführt hat. Von Henry Ford stammt der Satz: Wenn es überhaupt ein Geheimnis des Erfolges gibt, so besteht es in der Fähigkeit, sich auf den Standpunkt des anderen zu begeben und die Dinge ebenso von seiner Warte aus zu betrachten wie von unserer.